Der erste Teil des trinationalen Reise-Projekts „Grenzen überwinden” fand bereits vom 6. – 9. Juli 2023 statt. 17 Studierende aus Nimwegen, Hamburg und Posen haben sich in Köln getroffen und folgten gemeinsam den Spuren der beiden jüdischen und christlichen Frauen Edith Stein und Etty Hillesum. Die Gruppe wurde begleitet von den Studienleiterinnen der Katholischen Akademie Dr. Ursula Günther und Dr. Veronika Schlör, Andreas Oettel, dem Initiator des Projekts, und den Kooperationspartner*innen Prof. Dr. Malgorzata Grzywacz, Religionswissenschaftlerin und Edith Stein-Expertin aus Poznan, sowie Prof. Dr. Jean-Pierre Wils, Theologe und Philosoph aus Nijmegen.
Alle waren sich einig, dass die Beschäftigung mit konkreten Personen aus der NS-Zeit, mit ihren Erfahrungen, Gedanken, inneren Auseinandersetzungen, besonders auch ihrer geistig-religiösen Entwicklung, die sich über Briefe, Tagbücher und wissenschaftliche Schriften erschließen, kostbarer ist als jedes Geschichtsbuch. Auf ihre unterschiedliche Art haben beide Frauen die Studierenden berührt und gaben Anlass zu Reflexionen über Identität, Glauben und Verantwortung.
Da die Studierenden sich mit beiden Frauen bereits in vorbereitenden Seminaren beschäftigt hatten und die Reise selbst vom internationalen und interkulturellen Austausch lebte, konnte Erinnerungskultur vor Ort mehrdimensional erlebt und reflektiert werden. Diese Einblicke waren sehr wertvoll und inspirierend. Unter anderem auch deshalb, weil deutlich wurde, wie anders die Naziherrschaft in den einzelnen Ländern Europas erlebt und verarbeitet wurde. Dank der multikulturellen und multinationalen Familiengeschichten der Studierenden erweiterte sich das Wahrnehmungs- und Erfahrungsspektrum der gesamten Gruppe. Das wiederum trug zu mehrfachen Perspektivwechseln bei und erwies sich als ein besonderer Gewinn für alle Reisenden.
Der Anreisetag stand ganz im Zeichen des gegenseitigen Kennenlernens . Am zweiten Tag begab sich die Gruppe zum Edith-Stein-Denkmal in Köln und setzte sich kritisch und intensiv damit auseinander. Im Anschluss daran ging es nach Echt, hierhin floh Edith Stein von Köln aus in den dortigen Karmel. Die letzte Station war das Durchgangslager Westerbork und das dazugehörige Museum. Von hier aus wurden die beiden Frauen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Dieser erste Teil der Reise barg bereits einige Herausforderungen für alle Teilnehmer*innen: diejenigen, die noch nie ein Lager besucht hatten, standen plötzlich vor konkreten Gegenständen aus dem Lager, z.B. vor Koffern von ermordeten Kindern und Erwachsenen und erhielten Einblick in die Maschinerie dieses Durchgangslagers. Diejenigen, die nicht das erste Mal ein Lager besichtigt hatten, stellten fest, dass der Austausch mit der Gruppe einiges an bisherigen Bildern und Perspektiven ins Wanken brachte. Jede*r musste einen eigenen Zugang finden, und zwar entweder einen neuen oder aber einen veränderten. Die osteuropäischen Familiengeschichte(n) und diverse familiäre Diskriminierungserfahrungen, die für viele in der Gruppe Teil der (familiären) Erinnerungskultur war, war Anlass zu zahlreichen intensiven und bewegenden Gesprächen.
Der zweite Teil des trinationalen Reise-Projekts „Grenzen überwinden” war am 4.9. abends zu Ende. Die Studierenden und die Begleiter*innen hatten am 28. August die inhaltlichen und persönlichen Fäden in Posen wieder aufgenommen und sich gemeinsam auf die Fahrt nach Auschwitz vorbereitet.
Dabei spielte die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen nationalen Narrativen im Hinblick auf die Geschichte und die Erfahrungen mit Nazi-Deutschland, wie sie auch in den Schulen gelehrt wird, eine besondere Rolle.
Bevor es nach Auschwitz ging, standen eine Führung im Edith-Stein-Haus in Breslau und ein Gang über den dortigen jüdischen Friedhof, in dem die Eltern Steins liegen, auf dem Programm.
Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau zu besuchen, ist eine emotionale und mentale Herausforderung. Nach der dreieinhalbstündigen Führung über beide Gelände brauchten alle dringend Zeit für sich, Zeit zum Innehalten und Verarbeiten des Gesehenen, das durch viele bereits bekannte Bilder einerseits vertraut wirkte und andererseits vermutlich genau deshalb in der Unmittelbarkeit besonders verstörte und sehr berührte.
Der darauf folgende Vormittag war dem Städtchen Oświęcim gewidmet. (Das ist der polnische Name für das ehemalige K.-u.-K.-Städtchen Auschwitz. Der deutsche Name ist im Polnischen dem Vernichtungslager vorbehalten.) Über das jüdische Leben in Oświęcim durch die Jahrhunderte erfuhr die Gruppe vieles in Rahmen einer historischen Werkstatt im Museum Oszpicin (der jiddische Name der Stadt) anhand von Lebensgeschichten jüdischer Mitbürger*innen.
Fast alle Studierenden nutzten den Nachmittag, um ein weiteres Mal, Auschwitz I und/oder Auschwitz-Birkenau zu besuchen, diesmal im eigenen Takt und Rhythmus.
Die letzte Station der Reise war Krakau, mit seinem lebendigen jüdischen Viertel, und einem Klezmerkonzert im Klezmer-hois, dessen Charme darin besteht, dass es gleichzeitig ein Buchladen mit Verlag sowie ein Restaurant und eine Konzertlocation ist.
Im selben Viertel befindet sich das Museum Galicja, das sich dezidiert der Thematik „Erinnerungsräume“ widmet und überdies Begegnungen mit Überlebenden organisiert. Die Gruppe traf Monika Goldwasser, die der Shoa dadurch entkam, dass ihre Mutter sie als Säugling in ein Kloster weggab. Sie vermittelte sehr persönliche Einblicke, welchen Einfluss ihr Überleben auf ihre Kindheit und Jugend und das spätere Leben als Erwachsene hatte.
Im Historischen Café der Jagiellonen Universität Krakau, an der Kopernikus studiert hat, ließen die Studierenden und ihre Begleiter*innen den letzten Abend bei einem typisch polnischen Buffet ausklingen, um am nächsten Morgen wieder in die jeweiligen Heimatstädte aufzubrechen.
Dieses Reiseprojekt wurde gefördert von:
Erzbistum Hamburg, Fond „Theologie im Norden“; Renovabis e.V.; Axel Springer Stiftung; Althafen Foundation; Sanddorf Stiftung; Andere Zeiten e.V.